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Auf dem Weg zu einem zweiten Einkaufscenter in Bautzen?

Nach wenigen Schritten durch Bautzen wird klar, warum die Stadt gelegentlich "Klein-Heidelberg" genannt wird. Eine derart schöne Altstadtkulisse überrascht viele Touristen. Denn vom sächsischen Bautzen kennen die Deutschen eher die Strafanstalt, in der die DDR ihre politischen Gefangenen einsperrte. Doch so schön Bautzen ist – immer mehr Bürger und Gewerbetreibende bangen um die Zukunft ihrer Stadt, plant doch ein Investor zusammen mit der Stadtverwaltung ein zweites, noch größeres Einkaufszentrum in der historischen Innenstadt, vis-a-vis zum schon vorhandenen ECE.
Nach dessen Eröffnung konnte 5 Jahre später der Geographische Arbeitskreis Deutschland in einer wissenschaftlichen Studie nachweisen, dass 49 Bautzener Einzelhändler aufgrund des Centers ihr Geschäft aufgeben mussten. Aber Bautzen ist dafür kein Einzelfall. Immer mehr großflächige Handelsketten entdecken jetzt auch die kleineren Städte für sich. Deshalb haben sich Bürgerinitiativen aus Bautzen, Hoyerswerda, Görlitz und Zittau zu einem Oberlausitzer Städtebund zusammen geschlossen, um gemeinsam gegen diesen unsinnigen Ausverkauf ihrer Städte anzugehen. Billigarchitektur verschandelt zunehmend das über Jahrhunderte gewachsene Stadtbild und verdrängt historische, sogar denkmalgeschützte Bausubstanz. Großzügiger Abriss von Kulturerbe, um Platz für „Modernisierung“ zu schaffen? Einkaufszentren sollen zur „Belebung“ der Innenstädte beitragen? In Wahrheit beginnt doch hier ein Handelskrieg der Großen gegen die Kleinen, um auch die letzte Kaufkraft der ländlichen Regionen abzuschöpfen. Viele Händler leben heute schon von ergänzender Sozialhilfe, kämpfen ums Überleben, mit weit reichenden negativen Folgen für die Hauseigentümer, denn Mieteinbußen lassen die finanziellen Möglichkeiten für bauliche Erhaltungsmaßnahmen schrumpfen.



Ein paar Fakten: 1990 lebten in Bautzen noch rund 52.000 Einwohner, heute sind es gerade einmal 41.000 Menschen. Das Statistische Landesamt Sachsen prognostiziert, dass sich die Bevölkerung bis zum Jahr 2025 noch einmal um 18 Prozent, in der gesamten Oberlausitz um 58.000 Einwohner verringern wird. Die GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) hat ermittelt, dass die Kaufkraft der 322.000 Einwohner im Landkreis Bautzen 2012 durchschnittlich 16.420 Euro betrug, das ist ein Indexwert von 82, der Bundesdurchschnitt liegt bei 100. Damit gehört der Landkreis Bautzen zu den 30 ärmsten Regionen Deutschlands. Bis 2025 wird eine sinkende Kaufkraft um 19 % und weiterer dramatischer Bevölkerungsschwund in der gesamten Oberlausitz um 58.000 prognostiziert. Ein ebenfalls deutliches Bild: Die Bautzener Innenstadt weist einen Leerstand von ca. 7000 m² auf. Demgegenüber steht eine „Übersättigung“ von 3,22 m² Verkaufsfläche pro Einwohner, denn der Bundesdurchschnitt liegt bei 1,5 m².

Was kann eine Stadt also trotz dieser negativen Vorzeichen bewegen, in direkter Nachbarschaft zu einem vorhandenen ECE-Center mit 10.000 m² Verkaufsfläche ein zweites Einkaufszentrum bauen zu lassen? Noch dazu, wo ein paar Meter weiter am Kornmarkt der Bau für ein Wohn- und Geschäftshaus mit noch einmal ca. 2.500 m² Handelsfläche begonnen hat?

Zwei Gutachten aus 2009 und 2011 von der Handelsberatung BBE Leipzig betonen, dass Bautzen als Zentrum der Oberlausitz sich gegen die immensen Kaufkraftabflüsse nach Dresden wehren, die Attraktivität der Innenstadt sowie die überregionale Bedeutung der Stadt und die zentralörtliche Funktion Bautzens weiter gestärkt werden muss, und deshalb vor allem Kunden aus der Region braucht und eben durch das Lauencenter gewinnen will. Das BBE-Gutachten unterstützt damit die Pläne der Stadt für das Lauencenter, ist jedoch für seine Gefälligkeitsgutachten bekannt. (siehe „Angriff auf die City“) Demgegenüber stehen jedoch zwei andere Gutachten der GMA (Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung) aus 2008 und des HVS (Handelsverband Sachsen) aus 2012, welche eine notwendige Begrenzung der Handelsflächenerweiterung auf max. 7000 m² fordern, um Negativfolgen für die Stadt zu vermeiden. Bei Abzug der 2.500 m² für das neue Kornmarkt-Geschäftshaus verbleiben für das Lauencenter nach Adam Ries noch max. 4.500 m², wogegen kein Bautzener etwas hätte. Das zweite Hauptargument für das Lauencenter wird von der Stadt geliefert: Das Center beseitige endlich einen "städtebaulichen Missstand", wofür der Stadt seit Jahren die erforderlichen Mittel fehlen. Einige der „alten“ Häuser, die dem Lauencenter weichen sollen, befinden sich in städtischem Eigentum, sind zwar denkmalgeschützt, jedoch äußerlich in einem erbärmlichen Zustand. Die Logik der Stadt scheint klar: Abriss oder gar Sanierung der Häuser käme für die Kommune zu teuer. Also holt man sich einen Projektentwickler, der das Areal bebaut. Bautzen steht beispielhaft für das Problem in den neuen Ländern, denn hier gab es aufgrund fehlender Finanzen nie Chancen, langfristig und nachhaltig Innenstädte zu entwickeln. Ob aber zwei Center, Tür an Tür, in einer kleinen Stadt wie Bautzen, für eine nachhaltige Stadtentwicklung stehen?

So haben Bautzener Stadträte im treuen Glauben am 29. September 2010 die Aufstellung eines so genannten vorhabenbezogenen Bebauungsplanes für ein zweites Einkaufszentrum in der Bautzener Innenstadt beschlossen: 14.000 Quadratmeter, Mindestverkaufsflächengrößen von 300 m², inklusive ergänzende Dienstleistungsangebote, mitten hinein in die kleinteilige, historisch nahezu homogene, mittelalterliche Stadtstruktur. Der älteste Turm Bautzens, der Lauenturm, steht nur 100 Meter davon entfernt. Ein Jahr später, am 28. 09. 2011, wurde nahezu einstimmig der städtebauliche Vertrag abgeschlossen, welcher dem Investor keinerlei Einschränkungen auferlegte, z.B. ein Spielcasinoverbot wie beim ECE, aber auch nicht die Forderung, wenigstens das bedeutendste Denkmal im Bauareal, die „Alte Posthalterei“, ganz oder teilweise zu erhalten und zu integrieren. Es gab dann 2 Sanierungsgutachten, eines über 3 Mio. vom Investor und ein Gegengutachten vom Landesamt für Denkmalpflege von einer knappen Mio. Die Landesdirektion entschied aus nicht nachvollziehbaren Gründen für den Investor und attestierte ihm die Sanierung als unzumutbare Forderung. Eine wissenschaftliche Dokumentation der Denkmäler mit deutscher Gründlichkeit soll nun genügen, um die Sache mit dem Abriss rechtlich sauber zum Abschluss zu bringen? Für viele Bautzener und Denkmalschützer ist das ein glatter Hohn! Linke und Grüne Landtagsabgeordnete protestierten, doch die Sächsische Staatsregierung gab ihr grünes Licht zum Abriss zweier Innenstadtquartiere. Gespräche mit Stadtratsfraktionen und Verantwortlichen zur Verhinderung der Abrisspläne hatten keinen Erfolg. Wieder ein Jahr später, am 28.11.2012 übergaben Vertreter des Bürgerbündnisses „LauenPark“ in der Stadtratssitzung nochmals eine Petition in Form des „Offenen Briefes“, in dem sie einen Bürgerentscheid zum geplanten Bau eines zweiten Einkaufscenters fordern. Den Brief hatten über 1800 Bautzener unterschrieben. Denn Bauvorhaben in dieser Dimension und mit weit reichenden Wirkungen in die Zukunft sollten nicht allein vom Stadtrat und der Verwaltung entschieden werden dürfen, sondern müssen die Einbeziehung der Bürger in den Planungsprozess von Beginn an, schon bei der Ideenfindung garantieren. Leider blieb der Brief bisher ohne entsprechende Reaktion. Auch ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister Christian Schramm war in dieser Frage erfolglos, obwohl die Sächsische Zeitung mit Hilfe des Dresdner Instituts für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden eine repräsentative Umfrage erstellen lies, nach der über 60 Prozent das Vorhaben kritisch sahen und dreiviertel aller Bürger sich einen Bürgerentscheid wünschen.

Wutbürger werden geschaffen! Wenn sich Menschen zunehmend als machtlos empfinden und nur durch Bürgerentscheid in einer schon fortgeschrittenen Planungsphase ihre Beteiligung erkämpfen müssen, wirft das nicht nur ein schlechtes Licht auf die gewählten Volksvertreter, sondern bedeutet zugleich verschenktes Ideenpotential der Bürger für eine einvernehmliche Lösung. Das „frühzeitige Bürgerbeteiligungsverfahren“ ist derzeit nur eine Farce, wird es überwiegend nur als einseitige Informationspflicht der Planer gegenüber den Bürgern begriffen, jedoch nicht als eine sich gegenseitig ernst nehmende Interaktion zwischen beiden Seiten zum Zweck der Einigung bzw. Erarbeitung eines Kompromisses. Hier müssen von Seiten des Gesetzgebers die offensichtlichen Gesetzeslücken geschlossen werden, damit aus der Beteiligungsmöglichkeit auch das einklagbare Beteiligungsrecht werden kann. Bürger müssen viel früher, schon bei der Ideenfindung, einbezogen und in Vorentscheidungen beteiligt werden. Es gibt auch keine rechtlich bindende Verpflichtung und Kontrolle darüber, wie mit Einwendungen umgegangen werden muss, damit eine Kritik auch zur gewünschten Veränderung führt.

So begann in Bautzen am 25. März die Unterschriftensammlung für ein Bürgerbegehren mit der Frage: „Soll das städtische Grundstück Goschwitzstraße 9, „Alte Posthalterei“, veräußert werden?“ Wenn es gelingt, den Verkauf der „Alten Posthalterei“ zu verhindern und das bedeutendste Denkmal in diesem Bauareal vor dem Abriss zu bewahren, ist das geplante Center in dieser unverträglichen Größe nicht mehr umsetzbar.

Gibt es denn Alternativen zum Lauencenter? Es gibt seit mehr als 2 Jahren die Idee für den LauenPark. Viele Bautzener würden es begrüßen, wenn die bisherige Brachfläche und das gesamte Planungsgebiet zwischen Lauengraben und Bauergasse lebendig, sinnstiftend und lebenswert zu einem attraktiven, innerstädtischen Wohngebiet entwickelt und revitalisiert würde. Bautzen ist ein begehrter Wohnort, auch für diejenigen, die in Dresden arbeiten. Es fehlen Wohnungen für junge Familien, aber auch zunehmend für ältere Menschen. Ein durchmischtes Wohn- und Geschäftsviertel, sensible Integration von Altem und Neuem, mitten im attraktiven Zentrum Bautzens, findet garantiert seine Interessenten.

Der Stadt Bautzen sollte an diesem zentralen Standort das Beste gerade gut genug sein. Man könnte die erweiterte Innenstadt als neues Sanierungsgebiet festgelegt und damit Fördermittel vom Bund einsetzen. Mit Hilfe eines überregionalen Städtebauwettbewerbs werden sicher tolle Ideenkonzepte entstehen. Bei der gegenwärtigen Rekordnachfrage nach Immobilien finden sich dann auch neue Investoren ein, wobei gerade Denkmalsanierung als ein Steuersparmodell immer interessant ist. Denkmalgutachter Uwe Rähmer und die deutschlandweit bekannten Professoren Georg Hirte und Jörg Sulza aus Dresden bezeichnen das Lauencentervorhaben als eine städtebauliche Katastrophe.

Hoffen wir also gemeinsam auf ein erfolgreiches Bürgerbegehren für eine lebenswerte und zukunftstiftende Alternative – den LauenPark!

Marion Nawroth - Bürgerinitiative „LauenPark“