Wenn der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in einem Gastbeitrag auf Spiegel-Online schreibt, dass das zügellose „Konsum-Prinzip“ tot sei, so trifft diese Aussagen in seiner Konkretheit auch auf die geplante Entwicklung der Stadt Bautzen zu.Viel zu lange haben wir versucht, den Weg zu Wohlstand durch gesteigerten Konsum zu sichern. Dieses Modell ist tot. In Rio müssen wir ein neues Modell für ein Wirtschaftssystem des 21. Jahrhunderts entwickeln, das den Mythos widerlegt, dass es zwischen Wachstum und Umwelt einen Nullsummen-Ausgleich geben muss. Mit intelligenten Maßnahmen können Regierungen Wachstum schaffen, Armut bekämpfen, Arbeit schaffen und sozialen Fortschritt beschleunigen und gleichzeitig die natürlichen und endlichen Ressourcen der Erde schonen.
· Man muss kein Intellektueller sein, um die treffenden Worte Ban Ki Moons folgen und einschätzen zu können. Vor allem aber sollte es den Abgeordneten des Bautzener Stadtrats und den umliegenden Medien zuzutrauen sein, diese Zeilen des obersten Mannes der Vereinten Nation eine gewisse Wahrhaftigkeit zu attestieren. Ob dies jemals geschehen wird, scheint bei der aktuellen Diskussion um das neue Einkaufscenter allerdings mehr als fraglich.
· Nicht genug: das Kornmarkt-Center in Bautzen
In der Argumentation der Befürworter wie Gegner des „Lauencenters“, werden immer wieder dieselben Schlagwörter in Zeitungen und anderen sozialen Medien platziert: „Wirtschaftsstandort“, „Wirtschaftsfaktor“, „Kaufkraft“ „Alternativlosigkeit“, „Attraktivität“, „Schandfleck“, „Denkmalschutz“, „Konkurrenz“. Die unkritischen Medien nehmen diese Zuschreibungen auf, halten sie gegen das Licht und notieren was sie sehen. Dieser rein deskriptive Diskurs scheint in keiner Weise geeignet, um ausreichend Signalwirkung für eine andere Ebene der Auseinandersetzung mit dem Konsumwahn unserer westlichen Ökonomie bzw. der einer Kleinstadt in der Oberlausitz auszulösen. Verwundern braucht dieses Verhalten indes nicht, stimmten doch alle im Stadtrat Bautzen vertretenen Parteien für den Neubau eines Einkauftempels. Von Neonazi, über Kulturschaffenden bis hin zum strammen Kapitalismuskritiker, alle wollen dieses Center. Und sie werden es früher oder später bekommen. Der Neubau, für den geschichtsträchtige Häuserzeilen abgerissen werden müssen, scheint demokratisch legitimiert. Schlechterdings scheint alles was im Stadtparlament Bautzen beschlossen wird irgendwie demokratisch legitimiert - eine Zivilgesellschaft die entsprechend weitreichende Entscheidungen bzw. Eingriffe anzweifeln würde, existiert in Bautzen nicht. Mit diesem offenen Geheimnis ausgestattet ist es allerdings nur zu billig, wenn ein Kommentator in der Sächsischen Zeitung schreibt, dass derjenige, der das Center nicht möchte, sich doch bitteschön selbst um politische Mehrheiten bemühen solle. Alles andere wäre allzu unfair.
Aber mir ging es um eine andere Ebene der Auseinandersetzung. Nämlich der, sich mit den lokalen und globalen Folgen des städtischen Handelns zu beschäftigen. „Ein Scheitern dieser Investition wäre ein sehr negatives Zeichen und hätte langfristig eine Stagnation oder gar Rückentwicklung der Wirtschaft in Bautzen zur Folge“, heißt es von der Stadtverwaltung zu der erneuten Prüfung des Denkmalschutzamtes zum geplanten Abriss unter Denkmalschutz stehender Häuser. Der Bau des Centers könnte sich verschieben. Allerdings habe ich zum Beispiel bis jetzt noch nicht verstanden, wo um alles in der Welt der wirtschaftliche Mehrwert eines solchen Shoppingcenters für die unmittelbare Lebensumgebung liegen soll? Sind es etwa die 120 versprochenen neuen Arbeitsplätze, die zum Teil sicherlich nur als Minijobs daher kommen werden? Sind es etwa die zwei kleinen lokalen Unternehmen, die in dem „Lauencenter“ ihre Produkte feil bieten dürfen? Und warum muss denn unbedingt alles am Aberglauben des permanenten „Wirtschaftswachstums“ fest geknotet werden? Von der Lehre, dass Wirtschaftswachstum Armut bekämpfe, haben sich bereits viele dogmatische Lehrmeister des Establishments verabschiedet. Die Stadt Bautzen hält unbeirrt an der Sage fest.
Glaubt man dem Investor, werden in dem 50 Mio. Euro-Bau hauptsächlich große Ketten vertreten sein. Bei „Media-Markt“ und „H&M“ sollen wohl schon unterschriftsreife Verträge auf den Tischen liegen. Das Geld bleibt demnach nicht in der Umgebung, sondern fließt größten Teils auf die überfüllten Konten einzelner Großkonzerne. Wer sich eine Schallplatte kaufen möchte, der findet nicht mehr den Weg zum alteingesessenen Musikhaus „Jeremias“, er durchstöbert lieber die bei weitem billigeren Vinylkollektionen des Prototyps eines überreizten Einkaufwunderlands. Hier von „gesunder Konkurrenz“ zu sprechen, wie es die Initiative Pro-Lauencenter tut, kann als plumper Versuch gewertet werden, marktwirtschaftliche Konkurrenz als Indikator für Freiheit zu verstehen. „Gesunde Konkurrenz“ herrscht nur dann, wenn auf vermeintlich gleiche Vorraussetzungen verwiesen werden kann. Alles andere ist marktradikales Gequatsche.
Richten wir aber wieder den Blick auf Ban Ki Moon. Richten wir den Blick beispielsweise auf „H&M“. Kinder und Jugendliche die mit dem Verständnis aufwachsen, dass ein T-Shirt eben nur 5 Euro kosten darf, werden womöglich im späteren Leben auch nicht verstehen, dass das alles nur mit der massiven Ausbeutung von ökologischen und, wie so manch ein neoliberaler Zeitgenosse zu sagen pflegt, „humaner Ressourcen“ funktioniert. Familien die mit HartzIV auskommen müssen, werden quasi dazu genötigt, Waren zu kaufen, die mit der unmittelbaren Vernichtung menschlichen Lebens einhergeht. Befördert eine Stadt diesen Zustand, zeigt sie auch, dass sie mit diesem asozialen System konform geht. Zum einen mit Negierung menschenwürdiger Arbeit, zum anderen mit der hiesigen Sozialpolitik.
Immer wieder wurde bei LaBa auf die problematische Beziehung zwischen der EU und ihren Meeresbewohner hingewiesen. Mit dem steten Zukauf von Fast-Sea-Food-„Restaurants“, werden die katastrophalen Auswirkungen der Überfischung auf das gesamte Ökosystem sicherlich nicht geringer. Antibiotikaverseuchte Krabben, deren Züchtung ganze Mangrovenwälder zum Opfer fallen, bieten auch konventionelle Einkaufsmärkte an- also: who cares?! Schnelle Profite scheinen in der kommunalpolitischen Interpretationslogik über dem humanistisch-moralischen Umgang mit Mensch und Natur zu stehen. Deutlich wurde diese Haltung der Stadt schon einmal. Und zwar im Umgang mit meiner Anfrage an alle Stadträte, sich doch bitte um den Titel „Fair-Trade-Stadt“ zu bemühen. Kein einziger Abgeordneter reagierte.
Shopping macht nicht glücklich. Wer den Bau einer autarken Einkaufslandschaft mit Vergnügen begründet, verkennt die Aussagen der sogenannten „Glücksforschung“. Bereits 1980 vermerkte Fred Hirsch in seinem Buch „Die sozialen Grenzen des Wachstums“, dass der Nutzen vielen Konsumgüter heutzutage vornehmlich in der Abgrenzung innerhalb einer sozialen Gruppe besteht. Beim „Einkaufsbummel“ arten solcherlei Abgrenzungsversuche in puren Stress aus. Um eine gewisse Stellung in der Gruppenhierarchie zu festigen oder zu erklimmen, muss demzufolge mehr konsumiert werden. Andere Gruppenmitglieder wiederum fallen diesbezüglich zurück. Auch hier besteht Grund zu der Annahme, dass mehr „geshoppt“ werden muss, um andere in ihrer Konsumintensität zu überbieten. Diejenigen, die sich diesen Wettlauf im Vollstopfen der Taschen nicht leisten können, werden kaum am Überschuss von Glückgefühlen sterben. Es ist demzufolge notwendig, sich vom Ankauf immer größerer Konsumhallen abzukoppeln und stattdessen öffentliche Räume bereitzustellen, wo erst gemeinte soziale Interaktion, ohne die oberflächliche Abgrenzung: „Ich kaufe, also bin ich!“, stattfinden kann. Niko Paech schrieb dazu neulich in den Blättern: "Wenn materielle Not beseitigt ist, gründet Lebenszufriedenheit in erster Linie auf zwischenmenschlichen Beziehungen: der Integrität des sozialen Umfelds, Erfolg und Anerkennung auf der Basis eigener Fähigkeiten, Gesundheit, Sicherheit und einer als intakt empfundenen Umwelt."
Eine Stadt, die sich auf die esoterischen Heilkräfte international agierender Großunternehmen verlässt, verschließt nicht nur die Augen vor der unmittelbaren Auswirkung vor der eigenen Haustür, sondern verlässt auch die moralischen Standards wenn es um den Umgang mit dem Rest der Welt geht. Der Bau des „Lauencenters“ steht stellvertretend für vielen andere Shopping Malls als Synonym für eine völlig aus den Fugen geratene Konsumgeilheit der industrialisierten Welt. Jener ungezügelte Wahn nach „mehr, aber bitteschön billig“ begründet sich schlicht auf der systematischen Ausbeutung aller uns zur Verfügung stehenden Ressourcen. Die Bautzener Bevölkerung wird in ihrer diesbezüglichen Meinungsbildung zum Neubau von allen, mehr oder weniger verantwortlichen Akteuren allein gelassen. Ein kritischer Geist wird sicherlich nicht durch Aussagen wie: „Dann müssen die Bürger nicht mehr nach Dresden einkaufen fahren!“ geweckt. In der Diskussion um das „Lauencenter“ geht es auch um Mitbestimmung, Mündigkeit und Teilhabe - schlicht: Demokratie. Gerne hätte ich hier auf eine Veranstaltung der Stadtbibliothek verwiesen, in der es um die Kritik der Überflussgesellschaft geht. Gerne hätte es auch ein Themenschwerpunkt in der Medienauswahl sein dürfen. Leider kam es bisher nicht dazu.
Ban Ki Moon fordert von Regierungen „intelligenten Maßnahmen“, die einerseits Arbeit schaffen, den soziales Fortschritt beschleunigen sowie Armut bekämpfen, aber auch andererseits die natürlichen und endlichen Ressourcen der Erde schonen. Die Stadt Bautzen ist in der Auseinandersetzung um den Neubau des „Lauencenters“ und demnach an der Erfüllung dieses Aufrufs leider fulminant gescheitert.
Quelle: http://lauterbautzner.blog.de/2012/06/16/bautzen-scheitert-lauencenter-13886328/